Von der letzten Woche ist ein Seeunglück zu berichten. Am 4. Dez. verließ der schöne große Dampfer „Deutschland“ Bremerhaven um eine Anzahl Auswanderer nach unserm Lande zu bringen, doch schon ehe das Schiff den Canal passirt und in den atlantischen Ocean gekommen war, geschah das Unglück: der Dampfer strandete in der Nordsee. Fortsetzung.
Die folgenden geretteten Passagiere des Dampfers „Deutschland“ sind in Harwich gelandet:
1. Cajüte: Wm. Leick und Carl Dietrich Mever, 2. Cajüte: Theodor Tillmann, Helene Schem, J. Sauer, Hermann Seathan, Franz Hann, Alfred Wellig, Adolph Hermann, Anna Pitschold.
Folgende Personen werden vermißt:
1. Cajüte: J. Großmann, 2. Cajüte: Ludwig Hermann, Maria Förster, Emil Hack, Bertha Fundling, Theodor Fundling, Barbara Hilkenschmidt, Heinrich Faßbinder, Zorbelda Rienkober, Aurora ßadjura, Brigitta Lambert und O. Lindgren.
Die Namen der Zwischendeck-Passagiere konnten noch nicht in Erfahrung gebracht werden. Regierungs-Dampfer und Schleppboote sind von Southampton nach dem Wrack abgegangen. Eine Depesche, welche heute Morgen 2 Uhr von Harwich eintraf, meldet, daß zwei Boote den Dampfer verließen, eines derselben enthielt vier und das andere drei Personen. Aus den Berichten der Passagiere geht hervor, daß die Boote fortgerissen wurden. Passagiere und Mannschaften kletterten in die Takelage, aus welcher Viele fortgerissen wurden. Die Berichte scheinen übereinzustimmen, daß die Zahl der Umgekommenen fünfzig nicht übersteigt. Die Ueberlebenden litten schrecklich durch Wind und Wetter.
…wird berichtet, daß August Haum und Eduard Slaam aus der zweiten Cajüte unter den Geretteten sind. Die Passagiere wurden heute Mittag gerettet und um 3 Uhr gelandet. Vom Dampfer „Deutschland“ stiegen während des ganzen Montag-Abend bis zum Dienstag Morgen Raketen auf; obgleich man dieselben in Harwich sah, so war es doch unmöglich, Hülfe hinaus zu schicken, bis der Orkan nachließ. Heute Morgen 4 Uhr brachte der Schleppdampfer „Liverpool“ 51 Personen an’s Land, darunter alle Offiziere mit Ausnahme des 4. Offiziers. Ein Kind starb an Bord des Schleppdampfers. Die Zahl der Leichen in der Cajüte des Dampfers betrug 50. Andere sind wahrscheinlich in den vermißten Booten umgekommen. August Beck, der Proviantmeister, liegt im Sterben; seine Glieder sind geschwollen und schwarz angelaufen. Er konnte nur unter großen Schwierigkeiten Bericht erstatten.
Er sagte, sein Boot sei durch ein Tau an das Schiff gebunden gewesen; dieses Tau sei gerissen und da er keine Ruder gehabt, so hätte er nicht zurückkehren können. Das Boot sei seewärts abgefallen, und er habe mit seinen Kameraden das Segel aufgehißt; sie seien den ganzen Tag und die folgende Nacht vor dem Winde getrieben. Ein Zwischendecks-Passagier, Namens Fürstenberg, sei bei ihm im Boote gewesen. Derselbe war nur dünn gekleidet und hatte weder Schuhe noch Strümpfe an. Er starb bald. Sein anderer Gefährte, ein Matrose sei kurz nach Fürstenberg gestorben. Ein Rettungsboot sei nicht vorhanden gewesen und ein anderes habe sich nicht hinaus wagen dürfen.
Die Scene auf dem Wrack bei der Ankunft des Schleppdampfers spottet aller Beschreibung. Männer, Frauen und Kinder hingen in der Takelage, aus welcher schon eine Anzahl von den Sturzwellen fortgerissen worden waren. Viele waren nahezu entkräftet. In der Cajüte sah man die Leichen von Frauen und Kindern in Nachtkleidern. Der Schleppdampfer brachte 140 Personen, dünn gekleidet. Der deutsche Consul, Oliver W. Williams, nahm sich der Schiffbrüchigen sofort an und versah sie mit Nahrung, Kleidung und Obdach.
…wird berichtet, daß die Passagiere sämmtlich zur Ruhe gegangen waren, als der Dampfer auflief. Die Scence, welche nun folgte, war eine schreckliche. Als der Schleppdampfer „Liverpool“ an dem Wrack ankam, war der Rumpf gänzlich unter Wasser. Zwei Boote, welche im Laufe der Nacht in’s Wasser gelassen wurden, kenterten und 5 Personen ertranken.
Dezember 1875. (Schreibweise original).
Fortsetzung folgt.
Das Unglück der Deutschland.
Teil I. Erste Nachrichten.
Teil II. Details. (Namensliste)
Teil III. Noch mehr Gerettete. (Namensliste)
Teil IV. Die Untersuchung & eine Romanze.
Teil V. Der Bericht des Kapitäns.
Teil VI. Schriftverkehr. I. Gekränkte Ehre.
Teil VII. Schriftverkehr. II. Die Antwort des Abgeordneten.
Teil VIII. Schriftverkehr. III. Die Antwort von Reichskanzler Bismarck.
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