Das Führen des Kirchenbuches war ein gewichtiger Bestandteil der täglichen Routine für den Pfarrer; sorgfältig trug er Geburten, Heiraten und Tote in sein wertvolles Buch ein. Wenngleich man nicht unbedingt jedem Pfarrer die entsprechende Sorgfalt attestieren kann und ja, wiederholt beklagten nachfolgende Amtsinhaber Jahrzehnte, Jahrhunderte später eben diese mangelnde Korrektheit ihrer Vorgänger: „… hätte sich mehr um sein Kirchenbuch kümmern sollen“, „fehlen jede Details“, „schlecht geführt!“ und dergleichen mehr.
So waren sie also vertraut, mit dem neuen Leben, den Eheschließungen und unweigerlich mit dem Tod. Natürlich. Besonders bitter muß es gewesen sein, wenn der Pfarrer Familienmitglieder in das Kirchenbuch eintragen mußte – was wiederum zu einer nie gekannten Detailfülle führen konnte. „Ich bitte meine Ausführlichkeit zu entschuldigen.” las ich einst. Aber was könnte es in dieser Situation zu entschuldigen geben? Und wie unerträglich muß der Schmerz gewesen sein, wenn es sich um das eigene Kind handelte?
Beispielsweise hielt ein Pfarrer im Jahr 1749 fest: „… ist mein lieber Sohn, Nahmens Christian Gottlieb gestorben“. Die Altersangaben in Kirchenbüchern sind oft nicht korrekt und die Regel war es mehrheitlich, nur das reine Jahr anzugeben, seltener flossen noch die Monats- und Tagesangaben mit ein. Doch bei seinem Sohn ist die Trauer auch nach 271 Jahren nahezu greifbar; hat nichts an Rührung verloren, so heißt es also: „Seines Alters 16. Jahr, 3. Wochen, 3. Tage, 8. Stunden“. Ich bin geneigt anzunehmen, eine Stundenangabe in einem Kirchenbuch dürfte eine Ausnahme sein; zumindest meiner Erfahrung nach – geboren in tiefem Leid. Nur eine Zahl, doch so viel Trübsal, Pein enthaltend – den ganzen Schmerz des Lebens, des Todes vereint und konzentriert in eine Zahl.
Das unendliche Meer der unerbittlichen, tödlichen Vergangenheit hat längst jedwede Trauer mit sich gerissen; niemand kennt diese Familie mehr oder weiß um ihr Schicksal. Doch heute, hier an dieser Stelle soll nochmals an Christian Gottlieb gedacht werden.
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