Das Unglück der Deutschland. Teil V. Der Bericht des Kapitäns.

Von der letzten Woche ist ein Seeunglück zu berichten. Am 4. Dez. verließ der schöne große Dampfer „Deutschland“ Bremerhaven um eine Anzahl Auswanderer nach unserm Lande zu bringen, doch schon ehe das Schiff den Canal passirt und in den atlantischen Ocean gekommen war, geschah das Unglück: der Dampfer strandete in der Nordsee. Fortsetzung.

Capitän Brickenstein, welcher den verunglückten Dampfer „Deutschland“ führte und heute in Harwich sich aufhält, folgenden umständlichen Bericht über das Stranden des Dampfschiffes erstattete: „Wir verließen Bremerhaven am Sonntag Morgen und hatten früh am folgenden Morgen (Montag) mit einem heftigen Schneesturm von Nordost zu kämpfen. Das Wetter war so nebelig, daß wir das Senkblei unaufhörlich auswerfen und die Schnelligkeit des Schiffes vermindern mußten. Es lief um 5.30 Morgens die Sandbank an und begann bald darauf sehr stark zu stoßen. Mehrere Fahrzeuge fuhren ganz nahe an uns vorbei, beachteten aber unsere Nothsignale ganz und gar nicht. Ich befahl nun, die Rettungsboote bereit zu halten, erachtete es aber nicht für rathsam, die Boote bei dem Ungestüm der Wogen in’s Wasser zu lassen.

Ein Boot wurde jedoch trotz meines ausdrücklichen Verbotes in’s Wasser gelassen, allein es schlug um, als es kaum das Wasser berührt hatte und sechs in dem Boote befindliche Personen ertranken. Eine ungeheure Schlagwelle fegte einige Minuten später über das Verdeck u. schwemmte viele von den Passagieren, welche vorher mit Lebensrettungs-Apparaten versehen worden wären, über Bord. Ich gebot nun den Passagieren in das Takelwerk zu klettern, doch retteten sich einige auf das Dach des Steuerrades und wurden dann von dem inzwischen angekommenen Schleppdampfer um 10 Uhr Morgens befreit.

Zwölf Leichen, darunter die von vier Nonnen, wurden in Harwich gelandet und ist man der Ansicht, daß nur noch wenige oder vielleicht keine Leichen an Bord sich vorfinden. Die Nonnen, von denen die Depesche spricht, waren Franziskanerinnen aus Salzkotten in Westfalen, die wegen der Religionsverfolgung in Preußen nach Amerika gingen, aber in dem Schiffbruch ums Leben kamen.

Inzwischen gab die Jury ein auf Tod in Folge von Bloßstellung lautendes Verdikt ab, und überläßt es somit der Jury in Harwich, die Verantwortlichkeit für die Katastrophe festzustellen. Der Inquest über die Leichen nahm gestern seinen Anfang, doch ergab das Verhör des Kapitäns u. der Mannschaft nichts Neues.

Dezember 1875. (Schreibweise original).
Fortsetzung folgt.

Das Unglück der Deutschland.
Teil I. Erste Nachrichten.
Teil II. Details. (Namensliste)
Teil III. Noch mehr Gerettete. (Namensliste)
Teil IV. Die Untersuchung & eine Romanze.
Teil V. Der Bericht des Kapitäns.
Teil VI. Schriftverkehr. I. Gekränkte Ehre.
Teil VII. Schriftverkehr. II. Die Antwort des Abgeordneten.
Teil VIII. Schriftverkehr. III. Die Antwort von Reichskanzler Bismarck.

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